In der Praxis ist häufig pauschal von „Überstunden“ die Rede, obwohl es in der Schweiz eine klare Differenzierung besteht: Überstunden im Sinne des Obligationenrechts (OR) und Überzeit im Sinne des Arbeitsgesetzes (ArG). Beide Formen von Mehrarbeit bringen unterschiedliche Rechtsfolgen mit sich, die sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmende kennen sollten. Dieser Blogbeitrag erläutert die wichtigsten Grundlagen und zeigt Wege auf, wie Mehrarbeitsstunden fair ausgeglichen oder finanziell entschädigt werden können.
Überstunden oder Überzeit - was ist der Unterschied?
Eine der Kernfragen bei der Abgeltung von Mehrarbeit dreht sich um die Differenzierung zwischen Überstunden und Überzeit. Überstunden entstehen, sobald Mitarbeitende mehr arbeiten, als im individuellen Arbeitsvertrag oder im Gesamtarbeitsvertrag (GAV) festgelegt ist. Dies bleibt aber unterhalb der gesetzlichen Höchstarbeitszeit. Das Obligationenrecht (Art. 321c OR) regelt, wie mit solchen zusätzlichen Stunden umzugehen ist.
Überzeit geht einen Schritt weiter: Sie liegt vor, wenn die im Arbeitsgesetz definierte Höchstarbeitszeit (je nach Branche 45 oder 50 Stunden pro Woche) überschritten wird. Allerdings gilt das Arbeitsgesetz (ArG) nicht für sämtliche Berufsgruppen und Positionen. Insbesondere höhere leitende Angestellte oder bestimmte Berufsgruppen können davon ausgenommen sein. Nur wer tatsächlich dem Arbeitsgesetz unterstellt ist, muss sich an dessen Vorgaben halten. Wo das ArG anwendbar ist, schreibt es jedoch vor, dass Überzeit nur ausnahmsweise zulässig ist und in der Regel mit einem Lohnzuschlag von mindestens 25 % entschädigt werden muss, sofern keine entsprechende Freizeitkompensation vereinbart wird.
Rechtliche Grundlagen und Pflichten
Wer sich mit der Auszahlung von Mehrarbeitsstunden befasst, sollte die relevanten gesetzlichen Grundlagen kennen. Das Obligationenrecht schreibt vor, dass Überstunden grundsätzlich mit einem Lohnzuschlag von 25% zu entschädigen sind, sofern Arbeitnehmer und Arbeitgeber nichts anderes vertraglich vereinbart haben. Häufig werden in Arbeitsverträgen oder GAVs Abweichungen festgehalten, etwa eine pauschale Abgeltung oder eine Vereinbarung, dass Überstunden durch Freizeit kompensiert werden können. Entscheidend ist dabei, dass ein Verzicht auf den gesetzlichen Zuschlag klar und transparent im Arbeits- oder Gesamtarbeitsvertrag festgehalten wird. Nur dann kann der Zuschlag rechtswirksam „wegbedungen“ werden. Wichtig ist also eine eindeutige Formulierung, damit es im Nachhinein nicht zu Missverständnissen oder rechtlichen Auseinandersetzungen kommt.
Beim Thema Überzeit hingegen sind die Bestimmungen strenger und können nicht einfach vertraglich ausgeschlossen werden. Das Arbeitsgesetz, das sich stärker auf den Gesundheitsschutz sowie auf zulässige Höchstarbeitszeiten fokussiert, sieht hierbei einen zwingenden Mindestzuschlag von 25% vor, wenn die gesetzlich festgelegte Höchstarbeitszeit überschritten wird und keine Freizeitkompensation erfolgt. Gleichzeitig regelt es detailliert, wann und in welcher Form Überzeit geleistet werden darf, enthält Bestimmungen zu Pausen und Ruhezeiten und schreibt in der Regel eine lückenlose Arbeitszeiterfassung vor. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber müssen sicherstellen, dass sie gesetzliche Vorgaben nicht verletzen und Angestellte nicht übermässig belasten. Die Mitarbeitenden haben zudem das Recht, über eine allfällige Ausgleichsvariante mitzuentscheiden: Eine Auszahlung darf grundsätzlich nur mit ihrerEinwilligung erfolgen, da ihnen per Gesetz auch die Möglichkeit des Zeitausgleichs offensteht. Wer allerdings nicht unter das ArG fällt, für den gelten diese Bestimmungen nur eingeschränkt oder gar nicht – ein Aspekt, der in der Praxis zu ganz unterschiedlichen Handhabungen führen kann.
Optionen zur Kompensation: Geld oder Freizeit?
In der betrieblichen Praxis existieren grundsätzlich zwei Möglichkeiten, zusätzliche Arbeitsstunden abzugelten: finanzielle Entschädigung oder Freizeitkompensation. Bei der finanziellen Entschädigung werden die geleisteten Mehrstunden auf der monatlichen Lohnabrechung ausgewiesen und, wo anwendbar, mit einem entsprechenden Zuschlag versehen. Diese Variante ist relativ einfach umzusetzen, setzt aber eine verlässliche Erfassung und Zuordnung der Mehrarbeit voraus.
Alternativ ist auch ein Zeitausgleich möglich, bei dem die geleisteten Stunden auf einem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden. Die Mitarbeitenden können diese Zeit später abbauen, beispielsweise durch kürzere Arbeitstage oder zusätzliche Ferientage. Diese Lösung ist oft beliebt, wenn Unternehmen eine flexible Arbeitskultur fördern und Mitarbeitenden mehr Freiraum in der Gestaltung ihrer Work-Life-Balance bieten möchten. Jedoch ist auch hier eine präzise Dokumentation unverzichtbar, damit jederzeit ersichtlich bleibt, wie viele Stunden noch aufzuarbeiten oder abzubauen sind.
Zusätzliche Stunden im Gleitzeitmodell
Immer mehr Firmen setzen auf Gleitzeit, um den Angestellten mehr Flexibilität zu ermöglichen und zugleich betriebliche Abläufe effizienter zu gestalten. Dabei stellt sich rasch die Frage, ab wann zusätzliche Stunden eigentlich als Überstunden gelten und wann sie in den Bereich der Überzeit fallen. Entscheidend ist der Vergleich mit der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit und den gesetzlichen Höchstgrenzen – sofern das ArG anwendbar ist.
Werden nur die im Vertrag oder GAV festgelegten Wochenstunden überschritten, ohne die Limite des Arbeitsgesetzes zu erreichen, spricht man von Überstunden. Sobald jedoch die gesetzlich erlaubte Höchstarbeitszeit überschritten wird und das Arbeitsgesetz zur Anwendung kommt, handelt es sich um Überzeit. Auch Teilzeitangestellte können davon betroffen sein, wenn sie mehr als ihr vereinbartes Pensum arbeiten. Obwohl sie ein kleineres Stundenkontingent haben, gelten dennoch dieselben Grenzwerte in Bezug auf die gesetzliche Höchstarbeitszeit (d.h. dieser Grenzwert wird nicht teilzeitbereinigt).
Dokumentation als Schlüssel zum Erfolg
Die wichtigste Grundlage für eine faire Auszahlung oder Kompensation von Überstunden und Überzeit ist eine verlässliche Zeiterfassung. Arbeitgeber müssen dafür sorgen, dass jede bzw. jeder Mitarbeitende die Arbeitsstunden korrekt dokumentieren kann. Ob dies digital oder in Papierform geschieht, ist weniger entscheidend als die Genauigkeit und Transparenz des Systems.
Regelmässige Kontrollen durch Vorgesetzte helfen zu vermeiden, dass sich übermässig viele Stunden ansammeln. Gleichzeitig schützen sie Mitarbeitende vor Überlastung und stellen sicher, dass keine gesetzlichen Bestimmungen verletzt werden. Bei eventuellen Unklarheiten – etwa, wenn Mitarbeitende ohne Absprache länger bleiben und danach eine finanzielle Entschädigung verlangen – bietet eine sauber geführte Arbeitszeitdokumentation eine solide Entscheidungsgrundlage für beide Seiten.
Chancen und Risiken
Eine korrekte Auszahlung bzw. Abgeltung von Mehrarbeit ist nicht nur gesetzliche Pflicht, sondern kann auch ein Pluspunkt im Wettbewerb um Fachkräfte sein. Wer seine Mitarbeitenden fair behandelt und nachvollziehbare Regeln schafft, steigert nicht nur die Loyalität im Team, sondern signalisiert auch potenziellen Bewerbenden, dass Wertschätzung und Transparenz im Unternehmen grossgeschrieben werden.
Gleichzeitig bergen Mehrarbeitsstunden aber auch Risiken. Setzen Unternehmen dauerhaft auf Überstunden und Überzeit, läuft man Gefahr, die Mitarbeitenden zu überlasten. Zudem können sich hohe Stundenkonten zu einem Kostenrisiko entwickeln, wenn sie irgendwann ausgezahlt werden müssen. Eine gesunde Balance und ein vorausschauendes Personalmanagement sind deshalb unerlässlich, um Mehrarbeit sinnvoll einzusetzen, ohne die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu strapazieren.
Fazit
Die Frage, ob zusätzliche Arbeitsstunden in der Schweiz als Überstunden oder Überzeit gelten und wie sie abgegolten werden, ist weit mehr als eine bürokratische Formalie. Wer die Unterschiede zwischen diesen beiden Formen von Mehrarbeit kennt und den relevanten rechtlichen Rahmen (OR und ArG) im Blick hat, kann eine für alle Beteiligten faire Lösung finden. Dabei sind eine konsequente Zeiterfassung und klare Kommunikationswege im Unternehmen unverzichtbar, um Missverständnisse zu vermeiden und rechtliche Risiken zu minimieren. Entscheidend ist zudem, ob das Arbeitsgesetz überhaupt anwendbar ist, da es für bestimmte Berufsgruppen oder Positionen nicht gilt. Ebenso wichtig ist , im Arbeitsvertrag klar und verständlich festzuhalten, ob und ggf. unter welchen Bedingungen auf den gesetzlichen Zuschlag bei Überstunden verzichtet wird. Im Gegensatz dazu lässt sich ein möglicher Zuschlag für Überzeit nicht vertraglich aushebeln und eine Auszahlung ist in der Regel nur mit Zustimmung der Mitarbeitenden möglich, da diesen grundsätzlich ein Anspruch auf Kompensation zusteht.
So wird aus dem vermeintlich trockenen Thema der Mehrarbeit ein echter Mehrwert: Eine rechtssichere Umsetzung stellt nicht nur faire Arbeitsbedingungen sicher, sondern schafft auch stabile Strukturen im Payroll-Prozess, die allen Beteiligten zugutekommen.